Fünf Wochen. Den Gang verändert, die Augen weniger gerändert und schon wieder Schnee.
Die Wege weicher und weißer und irgendwie weiter, mein Innen voller... doch irgendwie leerer und auch irgendwie schwerer. Schnee.
Die ersten Schritte gequält, irgendwas fehlt, was genau kann ich nicht sagen, tonnenschwer all die Fragen und leise in mir pocht, dass ich so sehr auf eine Antwort gehofft habe, die mir einfach
jemand gibt. An die Hand, ins Hirn in jede Windung, damit die Verbindung die plötzlich gekappt...ganz einfach wieder klappt.
Klappt nicht... gelernt in der ersten Woche, also raus in den Schnee, eine neue Epoche, vielleicht eine neue Zeitrechnung anbrechen, nicht abbrechen, sich einlassen, Wanderschuhe anziehen,
Bedenken ausziehen. Losziehen in den Schnee.
Knöcheltief. Ich beginne zu fluchen, zu suchen, drüber nachzudenken, ob ich überhaupt starten soll, erwarten soll, dass es schön werden könnte was ich starte, was ich erwarte.
Auf Streuselkuchen warten... wäre leichter gewesen.
Im Wald überfällt mich Stille und meine Schuhe verschwinden mit jedem Schritt im Schnee. Und es sieht aus, als wäre nie jemand vor mir hier gewesen.
Ich finde, Wege alleine zu gehen oft ganz schön schwierig, fast schon gierig suche ich nach anderen Spuren, die mir ein bisschen Sicherheit geben, mich in einem Wald zu bewegen, der nicht Heimat
sondern Fremde ist, Anfang und nicht Ende ist.
Wege zu gehen, die noch keiner ging, ist nicht schlimm, sage ich mir. Nur anstrengend und dafür bin ich hier. Dafür gehe ich vor die Tür.
Mir fehlen Vergleichswerte und Bezugsgrößen, die Sicherheit einflößen, die manchen Schritt leichter machen, die Anstrengung seichter machen. Aber klar: war ja noch niemand da. Ist ja mein
Weg.
Und manchmal hänge ich fest. In Schneewehen, in denen was geboren werden will, werden will, was noch nicht zu erkennen ist, während ich feststecke und erschrecke, dass ich manchmal nichts tun
kann, außer geduldig zuzusehen, mit den Wehen mitzugehen, zu sehen, wie sich Dinge fügen. Kann mich nur in Ruhe lassen, vertrauen fassen, in etwas Unbekanntes, einen Weg der geboren werden
will... ich werde still, sammle Kraft. Denn ohne die, wird’s nicht gehen, kein Weg entstehen. Und Schneewehen ... können auch ganz schön schmerzhaft sein. Geburt findet selten ohne Schmerzen
statt.
Manchmal tauchen Spuren auf, wie Wegbegleiter, keine Wegbereiter aber Spuren von Menschen, die vielleicht ähnliche Schritte machten und dachten: Mist, ich bin der erste hier.
Wenn’s bergauf geht, sind fremde Spuren ganz schön nützlich. Mann kann reintreten, betreten eines anderen Weg und ein Stück mitsurfen vielleicht. Dann wird der eigene welche, oft ein Stück
leichter, man sinkt nicht ganz so tief ein, fällt seltener rein, in Schnee und nasse Massen die wie Blei auf Schuhen liegen, schwer zu heben, unmöglich zu schweben oder elfengleich abzuheben auf
den eigenen Wegen. Offensichtlich wollen manche Wege gestapft werden.
Also die fremden Spuren... ich versuche zu setzen ohne zu hetzen einen Fuß vor den anderen in fremdes Profil. Eine Weile gehts gut. Und dann... sind meine Schritte zu kurz oder zu lang und ich
fang an zu schwitzen, weil mein Tempo gar nicht mehr meines ist, meine Schrittlänge sich anders bemisst. Ich kann nicht mehr schauen, nach rechts oder links. Fokussiert auf die Profiltiefe eines
Fremden, wie ein Weg in fremden Händen.
Also eben noch Hilfe, dann eher eine Last, bis mich Mut erfasst wieder eigene Schritte zu tun. Den Weg zu meinem zu machen und nicht solche Sachen zu machen wie zu glauben, fremde Wege könnten
die meinen werden, fremde Schritte könnten die meinen erden.
Und erden geht ja sowieso besser, wenn unter dem Schnee, von früheren versteckten Schritten keine eisigen Stellen vorhanden sind und ich find... alleine das ist ein Grund den Fuß manchmal daneben
zu setzen. Denn eisige Flächen unter eigenen Spuren, die mitten in jemand anderes Eisfläche geraten...davon ist wohl abzuraten.
Trotzdem passiert‘s, wenn du denkst du bist sicher, rutschst du weg auf altem Eis und ich weiß, dass da schon einmal jemand ging, dem es nicht besser erging, der an der selben Stelle, ins
Rutschen kam. Und vielleicht war ich’s sogar selbst. Gestern. Vorm Neuschnee. Im vorigen Leben.
Und auch die plattgetrampelten Wege sind nicht immer günstig. Und künftig schaue ich vielleicht doch mal rechts oder links ob abseits Wege sind, die mir besser behagen. Gut, auch da kann man sich
fragen, wieviel Unterholz kann ich ertragen und will ich mich wirklich so weit entfernen von Siedelsbrunn, von Orten, die ich kenne. Finde ich dort, was ich suche oder werd ich’s nie erfahren,
wenn ich’s nicht versuche.
Und sich zu fragen, ist bestimmt richtig und wichtig. Und zielführend ist auch mal stehen zu bleiben, nichts zu entscheiden, einfach nur stehen, nach oben zu sehen, Baumwipfel im Wind, irgendwo
schimpft ein Kind... und sich zu sagen:
Hurra, mal nicht meins.
Sich einnorden und erden auf einem Weg den keiner ging. Jedenfalls nicht so, nicht mal anderswo. Und niemand kann ihn gehen, in meinem Tempo, mit meiner Schrittlänge, mit meinem Atem, mit meiner
Angst, meiner Sehnsucht und meinem Mut. Und das ist gut.
Ich bin froh, dass es außer mir keiner tut, meinen Weg gehen, dass ich Chancen habe auf unberührte Pfade und Chancen auf begleitende, hilfreiche Spuren, die die meinen kreuzen und einfach
bedeuten, dass ich nicht alleine bin.
Ich bin froh, dass ich suchen darf, nach meinem Weg, nach meinem Ziel, dass ich mich fragen und kennenlernen darf um überhaupt anzukommen. Irgendwo.
Ich bin froh, dass ich hier bin, der ausgetretenen Straße nicht folgte und nicht irgendwo ankam...wo ich gar nicht hinwollte. Dass ich nicht im nirgendwo ankam und eben nicht bei mir.
Dafür bin ich hier.